Eine ruhige, souveräne Kommunikation des Staates und eine saubere Aufklärungsarbeit sind bei der Reaktion auf einen terroristischen Anschlag entscheidend, sagt Tim Krieger. Foto: Thomas Kunz
Herr Krieger, warum beschäftigt sich ein Wirtschaftswissenschaftler mit der Frage, wie Politik und Gesellschaft auf Terrorgefahren reagieren sollten?
Tim Krieger: Das erscheint auf den ersten Blick vielleicht nicht naheliegend. Aber die Terrordiskussion hat ökonomische Komponenten, etwa bei der Frage nach Ursachen: Zum Beispiel steht die These im Raum, dass Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Armut zu den Auslösern von Terror gehören – das sind Themen, von denen Ökonominnen und Ökonomen etwas verstehen. Ein zweiter wichtiger Punkt sind Kosten-Nutzen-Analysen von Antiterrormaßnahmen. Dazu kommen methodische Ansätze, etwa aus der Spieltheorie: Wie reagieren Politik, Medien und die Öffentlichkeit auf solche Schocks, und wie verändern sich die Anreize auf allen Seiten? Ist zum Beispiel die Politik gegenüber Terroristinnen und Terroristen immer noch so hart, wie angekündigt, wenn eine Ministerin oder ein Minister entführt wird? Wie reagieren Terroristen, wenn ein Angriffsziel besser geschützt wird? Weichen sie auf andere Ziele aus und wenn ja, auf welche?
Sie behaupten, dass solche Anschläge zu einer übertriebenen Terrorangst führen.
Das ist ein psychologischer Effekt: Menschen können Ereignisse, die sehr selten eintreten, schlecht bewerten. Und wenn es dann noch besonders schreckliche Ereignisse wie Terroranschläge sind, die einen auch emotional aufwühlen, erscheint die Wahrscheinlichkeit dafür größer, als sie wirklich ist.
Weil es keine Routine im Umgang damit gibt, anders als etwa bei Verkehrsunfällen.
Genau. Und die Bilder in den Medien verstärken den Effekt. Bei dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin kam ein Teil der Wirkung daher, dass viele Menschen vorher selbst auf Weihnachtsmärkten gewesen waren.
Auf solche stark wirkenden Bilder und die daraus entstehende Verunsicherung haben die Terroristen es ja gerade abgesehen.
Ja, sie nutzen diese menschliche Reaktionsweise strategisch aus. Sie wollen erreichen, dass man sich überall unsicher fühlt.
Was sind die Folgen?
Das Unsicherheitsgefühl kann den Wirtschaftskreislauf lähmen. Besonders wirkt es aber auf das politische System zurück – weil die Nachfrage nach Sicherheit steigt. Untersuchungen zeigen, dass die Wiederwahlwahrscheinlichkeit von Regierungen nach einem Terroranschlag bedeutend sinkt. Die Politik versucht deshalb häufig, Stärke zu zeigen und mit plakativen Sicherheitsmaßnahmen zu reagieren.
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Was kritisieren Sie daran?
Die Maßnahmen sind oft vor allem teuer und bringen letztlich wenig: Natürlich kann man überall jemanden hinstellen, der aufpasst – aber wenn man die Leute wieder wegnimmt, ist auch die Sicherheit wieder weg. Das ist nicht nachhaltig.
Aber muss die Politik nicht auch auf diffuse Ängste eingehen? Auch ein fiktives Gefühl der Bedrohung kann die Lebensqualität einschränken.
Natürlich hat der Staat eine Schutzfunktion für seine Bürgerinnen und Bürger, die er erfüllen muss; dafür ist er da. Die Frage ist nur, wie: Die Leute beruhigt es, wenn sie Polizistinnen und Polizisten sehen, gleichzeitig ist das wenig effektiv. Andererseits weiß man, dass präventive Maßnahmen relativ gut wirken – aber die brauchen lange Zeit. Das ist in der Regel nicht das, was nach einem Anschlag verlangt wird.
Was halten Sie für sinnvoll?
Ich denke, entscheidend ist in jedem Fall eine ruhige, souveräne Kommunikation des Staates und eine saubere Aufklärungsarbeit. So wird den Bürgern vermittelt, dass der Staat die Situation grundsätzlich im Griff hat, auch wenn es trotzdem immer das Risiko eines Anschlags gibt. Damit können die Menschen letztlich besser umgehen, als wenn der Staat als systematisch überfordert erscheint, wie wir es gerade in der Diskussion um das erkennbare Versagen von Behörden sehen.
Trotzdem sagen Sie, wirklich nachhaltig bekämpft werden kann Terrorismus nur, wenn seine Ursachen beseitigt werden.
Vor allem in Belgien und Frankreich gibt es „heimischen“ Terrorismus, der mit Ausgrenzungstendenzen in der Gesellschaft zu tun hat. Und die Gefängnisse dienen als Brutstätten der Radikalisierung. Da kann die Politik etwas tun, wenn sie denn will. Schwieriger ist es, wenn Terroristen von außen ins Land kommen und zum Beispiel aus strategischen Gründen ihre Kämpfe aus Syrien in die westlichen Gesellschaften hineinverlagern. Da eine Befriedung des Syrienkonflikts nicht absehbar ist, hilft hier momentan wohl nur Polizei- und Geheimdienstarbeit. Aber auch der „Islamische Staat“ bekommt letztlich ein Problem, wenn es bei uns weniger frustrierte und radikalisierbare Leute gibt, die Terroristen werden wollen.
Welche Chancen haben denn abwägende Stimmen, gehört zu werden, wenn jetzt im Bundestagswahlkampf die emotional aufgeladenen Themen „Terrorgefahr“ und „Einwanderung“ zusammenkommen?
Das wird schwierig – wobei das Thema momentan noch nicht ganz so hochkocht, weil Medien und Gesellschaft sich intensiv mit Herrn Trump auseinandersetzen, sonst sähe die Diskussion vermutlich noch ganz anders aus. Aber Herbert Giersch, der legendäre Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, hat immer gesagt: Es gibt eine Bringschuld der Ökonomen. Wir müssen etwas liefern, das der Bevölkerung hilft. Deshalb sollten wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wenigstens unsere Argumente in die Diskussion einbringen.
Tim Kriegers „Acht Thesen“